Paul Abraham. Reich mir zum Abschied noch einmal die Hände ...

Artikel, vom 12. Mai 2010 [Links aktualisiert]

Vom 11. September bis zum 30. Dezember 1998 ist im Berliner Zeughaus, Unter den Linden, die Sammlung Robert Dachs, Wien, ausgestellt. Es gibt dazu einen Katalog: Sag beim Abschied ..., nach dem gleichnamigen Walzerlied von Peter Kreuder. Sechs Seiten des Katalogs widmet Robert Dachs dem Komponisten Paul Abraham: (1)

Eines Nachts auf der Madison Avenue, in der Nähe des Broadways, wird ein sehr dünner Mann, unrasiert, aber mit eleganten schneeweißen Handschuhen, von Polizisten von der Straßenmitte weggeführt; er dirigiert, den Verkehr gefährdend, ein imaginäres Orchester. Sein Blick und seine Gestik wirken geistesverwirrt. Er wird in die Irrenabteilung des Bellevue-Hospitals gebracht. In seinem ungarischen Paß steht: Abrahám Pál. (2)

"Während minder begabte, aber ´arische´ Komponisten, wie etwa Fred Raymond, seinen Typus der luxuriösen Schlageroperette schlecht und recht kopierten," so Volker Klotz in seinem Buch "Operette", "mußte Abraham emigrieren." Und zwar ohne, daß ihm auch nur ein einziger von den vielen Millionen, die sein schmachtendes Abschiedslied liebten und sangen, zum Abschied die Hände gereicht hatte. (3)

"Paul Abraham hatte 200 Melodien ´beiseite gelegt´. Diese unveröffentlichten Melodien hatte er in ein Geheimfach seines Schreibtisches gesperrt, sozusagen als Reserve. Als er aus Berlin floh, vertraute er sein Geheimnis seinem Diener an, an dessen Treue und Ergebenheit er keinen Moment zweifelte." (S. 137)

Kaum war Abraham aus Berlin fort, als der ´treue´ Diener das Geheimfach öffnete und die Melodien an minderbegabte Komponisten verkaufte. Mindestens zwei Dutzend Lieder, die in den Jahren des Dritten Reiches populär geworden sind, stammen aus dem Geheimfach Paul Abrahams. (Aus dem Programmheft zu "Ball im Savoy", Baden bei Wien, 1992). (4)

Über Kuba, wo er sich als Barpianist durchgeschlagen hatte, war er nach New York gekommen, mittellos, da er aus seiner alten Heimat keine Tantiemen mehr bekam. Obendrein mußte er es einfach hinnehmen, daß dort viele seiner Melodien unter anderen Komponistennamen höchst erfolgreich gespielt wurden ... Dies miterleben zu müssen, die Armut, das Nicht-Fuß-Fassen Können verbitterten ihn. (S. 138)

Vor seiner Emigration war er ein ganz fröhlicher, witziger Kerl gewesen: Als ihn z.B. bei den Proben zu seiner "Viktoria" der ungarische Komödien-Autor Ladislaus Bus-Fekete, den er nicht leiden konnte, störte und beim Plaudern mit einer Soubrette auch noch laut lachte, unterbrach Abraham: "Ich muß schon sehr bitten, Herr Bus-Fekete. Ich lach´ doch bei Ihren Lustspielen auch nicht!"

Er war der höflichste aller Operettenkomponisten. "Paul Abraham ist derart höflich, daß er in größte Verlegenheit kommt, wenn er allein aus einem Zimmer gehen muß. Er weiß dann nicht, wem er bei der Türe den Vortritt lassen soll," erzählte der ungarische Kritiker Imre Harmath. ... (S. 139f.)

Das Besondere des Abraham´schen Orchesters war die Üppigkeit des Klanges, die er mit relativ schwacher Besetzung zauberte: Wenig Streicher, sparsames Blech, zwei Klarinetten, eine Flöte, eine gestopfte Soloposaune, zwei Flügel, eine Celesta, Schlagzeug, das war alles, aber er erzielte damit das Dreifache an Wucht.

"Als junger, ideal veranlagter Musiker schrieb ich Streichquartette, die mir nichts eintrugen," hatte Paul Abraham der Wiener Zeitschrift ´Tonfilm, Theater, Tanz´ Mitte der 30er Jahre erzählt. "Meine schönsten Sonaten und Fugen brachten mir nicht den geringsten Lohn. Eines Tages war ich in einer Schallplattenhandlung, wo man einen fürchterlichen Schmachtfetzen spielte: ´Ich küsse Ihre Hand, Madame´. Die Verkäuferin aber sagte mir, daß von dieser Platte schon eineinhalb Millionen Stück verkauft seien. So begann ich, Schlager zu komponieren. In jede Operette schmuggle ich aber einige kleine Fugen hinein, denn ich habe immer großen Spaß, wenn nach der Premiere der eine oder andere ernste Musikliebhaber mir dafür dankbar die Hand schüttelt." (5)

Daß er seinerzeit sehr eigenwillige Klangfarben benutzt hat, so z.B. eine Celesta und chinesische Trommeln kombiniert mit einem Xylophon, Vibraphon und gedämpften Blechbläsern, und zum Drüberstreuen eine Hawaii-Gitarre, wissen wir nur aus den alten Partituren. Die wenigsten können sich davon überzeugen, wie diese Klangfarben geklungen haben, da sie keine Aufnahmen davon haben. In der Nachkriegszeit wurde bei Neuaufnahmen nicht die geringste Rücksicht darauf genommen, sondern mit billigstem Geschmack orchestriert. Die Originalaufnahmen zwischen 1930 und 1933 klingen verrückt-synkopisch-jazzig, die Cover-Versions aus unserer Zeit sind so schlecht arrangiert, daß sie Paul Abraham nicht als seine Kompositionen erkennen würde. (S. 140f.)

"Schön war das Märchen, nun ist es zu Ende," die Zeile aus Abrahams "Viktoria und ihr Husar" hatte 1938 für ihn einen zynischen Beigeschmack - in diesem Satz lag exakt sein Schicksal. Abrahams märchenhafter Aufstieg als Komponist war nun zu Ende ... (6)

Seelisch verkraftete er das nicht. In seinem New Yorker Hotelzimmer fanden ihn Freunde in der Badewanne in eiskaltem Wasser, tagträumend, halluzinierend: er erzählte ihnen, er werde eine berühmte Hollywood-Diva heiraten und lud alle für den nächsten Tag zur Hochzeit ein. Am nächsten Morgen konnte er sich an nichts mehr erinnern. Robert Stolz, der ihn auf der Flucht in Paris und dann in Amerika wiedersah: "So endete einer der talentiertesten Komponisten."

Von Paul Abrahams Familie hat nur ein Neffe, Bela Feszelnyi, die Ausrottung durch die Nazis überlebt. (S. 142) Geistig und seelisch völlig gebrochen, saß Paul Abraham mit 50 anderen Nervenkranken im "Flugzeug der Verdammten", wie die Maschine von der Presse damals genannt wurde, und landete am 30. April 1956 in Frankfurt. Gedankenlos (da nicht sehr passend) spielte ein Orchester bei seiner Ankunft: "Reich mir zum Abschied noch einmal die Hände" ... In Deutschland hatte man ihn jahrelang für verschollen oder sogar tot gehalten. Erst als eine deutsche Filmgesellschaft eine (im übrigen fürchterlich "deutsch" gewordene) Neuverfilmung seiner Operette "Die Blume von Hawaii" plante, war eine Pressekampagne gestartet worden, durch die er in Amerika gefunden wurde. Von Frankfurt wurde er dann in ein Hamburger Sanatorium gebracht, wo er der Presse einen bedauernswerten Anblick bot. Allein in einem Krankenzimmer sitzend, teilte er sich und einem unsichtbaren Gegenüber Spielkarten aus. Dann spielte er eine Karte aus und wartete stundenlang ... (7)

Einige Jahre später starb er; vor 50 Jahren, am 6. Mai 1960.

Das Hamburger Abendblatt behauptete am 9. Mai 1960 - nach seinem Tod -, er habe niemals Noten schreiben gelernt und habe seine Einfälle von Gehilfen zu Papier bringen lassen müssen. (S. 142) (8)

Soweit der Text von Robert Dachs. Die Links habe ich ergänzt. (9)

Bin kein Hauptmann, bin kein großes Tier

Der erste große Hit von Paul Abraham: One of the first spoken movies in German cinema and actually the first spoken movie of the famous German UFA. It premiered in December 1929 starring those days teenage idol Willy Fritsch and Dita Parlo. Produced in several versions (German, English, French, Hungarian, silent) it became a worldwide success. Director of the original movie was Hanns Schwarz. The song "Bin kein Hauptmann, bin kein großes Tier" which is featured throughout the whole original movie was composed by Paul Abraham and performed by Willy Fritsch. It became a big hit at that time as well. (10)

Danke für die wunderbare Musik, Paul Abraham!
Danke für die Würdigung des Komponisten, für die Ausstellung, in der ich 1998 in Berlin dreimal war, und für den sehr gelungenen Katalog, Robert Dachs! Ruhe in Frieden!

12. Mai 2010 - Links aktualisiert, 18. Juli 2020

Musik & Entertainment 1903 - 1936. Berlin, 29. November 2001
Mit viel Musik und tollen Links, 10. Februar 2018

Paul Abraham. Schwarzer Jonny und Bimba. 9. April 2011

"gudrun eussner" "jüdische künstler". Google: 7 Ergebnisse

Quellen

(1) Willy Forst. Sag beim Abschied, aus dem Film "Burgtheater", 1936.
Johann Strauß/Peter Kreuder. Text: Hans Lengsfelder und Siegfried Tisch
Video (3:08), YouTube, 20. April 2012

(2) Paul Abraham. Der tragische König der Operette. Von Klaus Waller

Paul Abraham. Biografie: Lexikon verfolgter Musiker und Musikerinnen der NS-Zeit. 
LexM, Universität Hamburg

(3) Nun schnaubt mal nicht so verächtlich. Volker Klotz´ unverzichtbares Operetten-Buch in stark erweiterter Auflage / Von Gerhard Rohde, FAZ, 6. Oktober 2004, buecher.de

Volker Klotz: Operette. Perlentaucher, Oktober 2004

(4) Ball im Savoy. Musik: Paul Abraham, Text: Alfred Grünwald und Fritz Löhner-Beda, 
Interpreten: Anni Frind, Erwin Hartung, ca. 1933. Video (8:52). YouTube, 9. März 2018

Aus dem Programmheft zu "Ball im Savoy", Baden bei Wien, 1992

Gitta Alpár. Was hat eine Frau von der Treue? Musik: Paul Abraham,
Text: Alfred Grünwald, Fritz Löhner-Beda, aus "Ball im Savoy",
18. Dezember 1932. Video (3:28). YouTube, 13. August 2012

(5) Richard Tauber. Ich küsse Ihre Hand, Madame, 1929. Musik: Ralph Erwin,
Text: Fritz Rotter. Orchester: Dajos Béla. Video (2:41). YouTube, 29. Oktober 2011

Ich gratuliere zum 110. Geburtstag: Ein Denkmal für Paul O'Montis
Paul O'Montis in den Wogen des Stelenfeldes. Von Gudrun Eussner, HaGalil, 25. März 2004

(6) Julian Fuhs Orchester, Paul Fehér, Ungarland Donauland Heimatland, Foxtrot, Berlin, 1930
Berlin, 19. August 1930, Video (3:09). YouTube, 27. Januar 2020

Paul Abraham dirigiert Good Night! mit Tenor Karl Jöken. Video (3:32). YouTube, 1. März 2017

"Metropol Tanzorchester" "Paul Abraham". Google.de

(7) Blume von Hawaii. Musikfilm 1953. Buch und Regie: Geza von Cziffra. filmportal.de

(8) "Hamburger Abendblatt" "Paul Abraham". Google.de 99 Ergebnisse

(9) Paul Abraham. Sag beim Abschied ... Wiener Publikumslieblinge in Bild&Ton. Katalog. 
Die Sammlung Robert Dachs (1955 - 2015), Wien 1992, S. 137-142. LibraryThing

(10) Willy Fritsch in "Melodie des Herzens" (1929). Video (2:40). YouTube, 25. Augut 2009

Meine Mama war aus Yokohama. Originalaufnahmen von 1929 - 1933. 
Zusammenstellung: Viktor Rotthaler. Aus dem Archiv Raoul Konetzni. 
Edition Berliner Musenkinder, Duo-Phon 5023

Lizzi Waldmüller und Oskar Dénes singen "Meine Mama war aus Yokohama",
aus "Viktoria und ihr Husar". Musik: Paul Abraham, 18. August 1930.
Video (2:23). YouTube, 21. August 2007

Marta Eggerth. Kann nicht küssen ohne Liebe. Aus "Blume von Hawaii".
Musik: Paul Abraham, Text: Alfred Grünwald, Emmerich Földes und
Fritz Löhner-Beda, März 1933. Video (2:53). YouTube, 6. Novemebr 2007

Oszkár Dénes. Do-do-do. Paul Godwin Tanzorchester, Dir. Alois Melichar. Musik: Paul Abraham, 
Text: Alfred Grünwald, Fritz Löhner-Beda, 18. August 1930. Video (2:37).
YouTube, 21. Mai 2020

"Roxy und ihr Wunderteam" mit Oscar Dénes. Film von 1938,
Musik: Paul Abraham. Video (2:38). YouTube, o. J.

Ja so ein Mädel, ungarisches Mädel. Metropol Tanzorchester Berlin. Komponist
und Orchesterleiter: Paul Abraham. Berlin, 21. August 1930. Video (2:41).
YouTube, 4. April 2008