Musik & Entertainment 1903 - 1936

Ich war sicherlich nicht die einzige, die 1998 dreimal in der von Robert Dachs initiierten Ausstellung "Sag beim Abschied ....", im Berliner Zeughaus, Unter den Linden, war.

Unbeschreibliche Gefühle der Trauer und der Freude, beide gleichzeitig, wurden dort geweckt. Geschenkt wurden uns einmalige Eindrücke vom Wirken der großen jüdischen Künstler Deutschlands und Österreichs. Vorgestellt wurden Dichter, Schriftsteller, Schauspieler, Musiker, quer durch die Klassik und Unterhaltung. Tonaufnahmen erklangen aus den Kulissen, ein Wiener Caféhaus war aufgebaut. Fritz Grünbaum und Karl Farkas, "der Gescheite und der Blöde", brachten ihre Witzeleien aus dem echten Wiener Cabaret.

Die Trauer konnte nicht ausbleiben, denn diese Kunst ist für immer aus Deutschland und Österreich verschwunden. Mit der Vertreibung oder Ermordung der Künstler, deren Schicksale eindringlich dokumentiert waren, wurde unsere gesamte Kultur zerstört.

Bemerkenswert war, daß ich an meine Kindheit, in der Nachkriegszeit, erinnert wurde, da aus unserem bescheidenen Radio die eine oder andere Melodie erklungen war. Ich nehme an, es ist aus dem Exil heimgekehrten Rundfunkjournalisten zu verdanken: "Was kann der Sigismund dafür, daß er so schön ist ...", von Robert Gilbert, gesungen von Siegfried Arno, und die Lieder von Paul Abraham "Reich mir zum Abschied noch einmal die Hände ...", gesungen von Richard Tauber, beispielsweise. Paul Abraham, aus Berlin geflüchtet, wurde später in verwirrtem Zustand in New York aufgegriffen und in ein dortiges Irrenhaus gebracht, der Wiener Richard Tauber, der "singende Traum", starb als englischer Staatsbürger, ohne daß ihn seine Geburtsstadt Linz oder Wien jemals offiziell gebeten hätten zurückzukehren.

Viele Künstler hatten die Emigration nicht geschafft, und sie wurden in den Konzentrationslagern ermordet, wie der aus dem "Blauen Engel" weltbekannte Schauspieler Kurt Gerron, der 1944 den unsäglichen Film über das Konzentrationslager Theresienstadt drehen mußte. Der homosexuelle Paul O'Montis erhängte sich, am 17. Juli 1940, im KZ-Sachsenhausen.

"Spiel mir den Lost River Blues ..."

Heute schalten wir Fernsehsendungen wie "Die Schlagerparade der Volksmusik", "Musikantenstadl" und "Kein schöner Land ..." mit einem raschen Knopfdruck aus. Wenn hin und wieder eine Sendung mit dem vor einem Jahr verstorbenen Diether Krebs gezeigt wird, muß man schon dankbar sein.

Ich fragte selbstverständlich sofort an der Rezeption der Ausstellung, ob es CDs der jüdischen Künstler gäbe, was mit Bedauern verneint wurde. Nun aber hat dieser unerträgliche Zustand ein Ende, denn der "dem Guten, Schönen und Radikalen in der Musik verpflichtete" Münchner Trikont-Verlag hat uns gleich doppelt beschenkt: Für nur je 29 DM gibt es die "Diva aller Diven" Fritzi Massary, "den Gescheiten und den Blöden" Fritz Grünbaum und Karl Farkas, den Ur-Österreicher Richard Tauber, das "süße Mädel aus Budapest" Franziska Gaal, den Mann aus dem Kaffeehaus Hermann Leopoldi, Max Brod, Karl Kraus und weitere berühmte Wiener. Aus Berlin, Hamburg und München gesellen sich dazu der "berühmte Schwabe" Alfred Auerbach, die "waschechten Hafenarbeiter Fietje und Thetje" die Gebrüder Wolf, der erste Bariton des legendären "Überbrettl" Robert Koppel, die "Lumpenjuste" Fritzi Massary (hier also als Berlinerin), "La bella Tangolita" Gitta Alpar, Curt Bois, Willy Rosen und viele, viele andere.

Traurig stimmen die beiden Stücke von Paul O'Montis, der selbst kein Jude war, "Ghetto" und "Kaddisch", von 1928. Er zeigt, wie eng für die Juden in Deutschland Ausgelassenheit, Schmerz und Verzweiflung schon lange vor Beginn des Dritten Reiches zusammengehören.

"Musik & Entertainment 1903-1936", eine CD "Trikont US - 291" mit Aufnahmen jüdischer Unterhaltungskünstler aus Wien, und
"Musik & Entertainment 1903-1933", zwei CDs "Trikont US - 292", mit Aufnahmen jüdischer Unterhaltungskünstler aus Berlin, Hamburg und München.

Berlin, 29. November 2001 - Mit viel Musik und tollen Links, 10. Februar 2018

Paul Abraham. Reich mir zum Abschied noch einmal die Hände ...
Artikel, vom 12. Mai 2010 [Links aktualisiert]