Justiz und Medien Frankreichs im Dienst der Politik des Jacques Chirac

Artikel vom 2. November 2006 [Links nicht aktualisiert]

Ausgegraben aus Anlaß der Aufregung über die Benennung von Éric Dupond-Moretti zum Justizminister, 6. Juli 2020

Artikel 64 der Verfassung Frankreichs schreibt fest, daß der Staatspräsident Garant der Unabhängigkeit der französischen Justiz ist, unterstützt wird er dabei vom Conseil Supérieur de la Magistrature, dem Hohen Rat der Richter und Staatsanwälte. Selten so gelacht! (1)

In Frankreich macht man den Bock zum Gärtner. Läßt man die manigfaltigen Zusammenstöße des Jacques Chirac mit der Justiz Revue passieren, denkt man an den Untersuchungsrichter Eric Halphen, der sich bei seinen Recherchen über die Machenschaften der Chiraquie einem undurchdringlichen Dickicht an präsidentiellen Intrigen gegenüber sieht, die seine Arbeit behindern und ihn veranlassen, für einige Zeit vom Justizgeschäft zurückzutreten, weiß man, daß der Generalstaatsanwalt des Pariser Berufungsgerichtes vom Staatspräsidenten eingesetzt wird, dann wundert man sich nicht mehr über Fälle wie die des Didier Julia und seiner Mitarbeiter, und erst recht versteht man nun, wieso die Klage des israelisch-französischen Auslandskorrespondenten Charles Enderlin und seines Arbeitgebers, des staatlichen Fernsehkanals France 2, gegen die kritische Site Media Ratings vor Gericht mit einer Verurteilung des Philippe Karsenty endet. (2)

Ich habe die Affäre, um die es dabei geht, die angebliche Ermordung des 12-jährigen palästinensischen Jungen Mohammed al-Dura durch israelisches Militär, im Februar 2005 ausführlich dargestellt im Artikel "Der Fernsehkanal France 2 als aktiver Kämpfer der Al-Aqsa Intifada". (3)

France 2 als aktiver Kämpfer der Al-Aqsa Intifada

Videos zur Unterstützung der Behauptungen derjenigen, die von Anfang an Zweifel an der Echtheit der von Charles Enderlin und dem Fernsehsender France 2 so bereitwillig, schnell und kostenlos (!) weltweit verteilten Propaganda haben, liegen mir zu dem Zeitpunkt nicht vor. Es gibt reichlich Rushes, Filmmaterial über den Verlauf der Kriegsspiele der Palästinenser an der Netzarim-Kreuzung, am Ort des angeblichen Mordes. France 2 weigert sich lange, dieses Material sichten zu lassen. Esther Schapira, deren Dokumentation "Wer erschoß Mohammed al-Dura?" am 18. März 2002 als ARD-Dokumentation gesendet wird, darf das Filmmaterial nicht einsehen. Sie kann den Tod des Jungen wie alle anderen vor und nach ihr nicht dokumentieren.

Am 22. Oktober 2004, nach vier Jahren, erklärt sich France 2 endlich bereit, das Filmmaterial einem ausgewählten Personenkreis zur Einsichtnahme freizugeben. Es sichten die beiden angesehenen Journalisten Denis Jeambar, Herausgeber der Zeitschrift L´Express, und Daniel Leconte, ein ehemaliger Mitarbeiter von France 2, das gesamte Filmmaterial. Sie ziehen Luc Rosenzweig, einen ehemaligen Redakteur der Le Monde und heutigen Mitarbeiter der israelischen Metula News Agency (Mena) hinzu, und die drei Journalisten stellen fest, daß es die von Charles Enderlin angeblich herausgeschnittene Szene von der Agonie des Mohammed al-Dura nicht gibt, und daß es sich bei dem Filmmaterial bei mindestens 24 von 27 Minuten um Aufnahmen von gestellten und gespielten Szenen handelt. Es sei nicht anzunehmen, daß ausgerechnet die drei berühmten Minuten mit Mohammed al-Dura und seinem Vater davon auszunehmen sind.

Inzwischen ist es, wenn man die nunmehr im Internet verfügbaren Videos betrachtet, erwiesen, daß auch der Tod des Mohammed al-Dura gestellt ist. Schon vorher wird von Kritikern behauptet, daß es sich bei Mohammed al-Dura, der am Nachmittag angeblich ermordet wird, nicht um den Jungen gleichen Namens handelt, der morgens tot ins Krankenhaus Shifa eingeliefert wird. Daß es sich nicht um die "Ikone der Intifada II" handeln kann, wird nun durch das Video vollends bewiesen: weder ist irgendwo auch nur ein Tropfen Blut zu sehen, obgleich nicht nur der Junge, sondern auch sein Vater von den israelischen Kugeln getroffen sein sollen, sondern der "tote" Junge blinzelt, nachdem mehrfach gerufen wird "Das Kind ist tot!" munter unter seinem rechten Arm in Richtung Kamera. Wer's nicht glaubt, schaue bitte selbst das Video auf The 2nd Draft an: The Birth of an Icon. Diese Dokumentation, eine Fortsetzung früheren Pallywoods, untersucht die zur Entstehung des explosiven Filmmaterials über Mohammed al-Dura und seinen Vater Jamal, an der Netzarim-Kreuzung, am 30. September 2000, führenden Umstände, wird das Video auf der Site eingeführt. Ähnliche Erkenntnisse gewinnen Denis Jeambar, Daniel Leconte und Luc Rosenzweig, die aber dennoch nicht behaupten wollen, daß Charles Enderlin und sein Kameramann eine mutwillige Inszenierung oder Manipulation betrieben haben. (4)

Das ist allerdings bei der politischen Einstellung des Charles Enderlin, die er übrigens mit seinem Kollegen und Freund, dem Chefredakteur der Zeitung Le Monde Sylvain Cypel teilt, naheliegend. Beide haben die gleichen Ansichten über die israelisch-palästinensischen Beziehungen, und so unterstützt Sylvain Cypel seinen Freund denn auch vorbehaltlos gegen alle Kritiker. Als Denis Jeambar und Daniel Leconte nach geraumer Zeit des vergeblichen Wartens auf eine Stellungnahme von France 2 zu ihrem Bericht über das am 22. Oktober 2004 gesichtete Filmmaterial ihre Ergebnissse in der französischen Presse veröffentlichen wollen, weigert sich Sylvain Cypel, das in Le Monde zu tun. Er findet das alles "bizarre", und so schreiben sie, am 25. Januar 2005, einen sehr vorsichtigen Artikel im Figaro.

Exkurs: Sylvain Cypel

Bei Sylvain Cypel handelt es sich um den Journalisten, der die ob der Attentate von 9/11 begeistert tanzenden israelischen kunststudierenden Spione für seine französischen Leser aus dem Online Intelligence Letter des französischen Agenten Guillaume Dasquié fischt und sie bald wieder versenkt, comme si de rien n'était. Diese Geschichte wird seinerzeit ausführlich auf der israelfeindlichen Site Antiwar.com des Justin Raimondo ausgewalzt. Es soll damit nicht nur die Beteiligung an, mindestens aber das Wissen israelischer Geheimdienste von den Plänen für den 11. September 2001 nachgewiesen, sondern vor allem unterstellt werden, daß die Israelis relevantes Wissen darüber für sich behalten und sich über den Angriff auf ihre "angeblichen Freunde" die USA gefreut hätten: Jumping for Joy on 9/11. (5)

Auf Antiwar.com werden seinerzeit auch ZEIT- und Spiegel-Artikel völlig entstellt wiedergegeben. In denen wäre das ebenfalls belegt. Stattdessen steht das Gegenteil darin, nämlich, daß israelische Geheimdienste ihr Wissen über Attentatspläne an ihre US-Kollegen weitergegeben, diese aber den Warnungen keine Bedeutung beigemessen hätten, was Klicks auf die deutschen Links schnell zeigt. Justin Raimondo mag damit gerechnet haben, daß niemand diese Links auf Kongruenz mit der Wahrheit kontrolliert. Oliver Schröm schreibt in der ZEIT: (6)

Mehrmals soll der Mossad die amerikanischen Partner vor den Terroristen gewarnt haben, insbesondere vor Chalid al-Midhar. Die US-Regierung räumt später ein, vor dem 11. September solche Warnungen erhalten zu haben. Allerdings seien diese meist davon ausgegangen, dass Attentate gegen US-Einrichtungen außerhalb der Vereinigten Staaten geplant würden.

Nach Informationen der ZEIT hingegen übergab der israelische Geheimdienst den US-Behörden wenige Wochen vor den Terrorangriffen eine Liste mit den Namen von Verdächtigen, die sich zwecks Vorbereitung von Anschlägen in den Vereinigten Staaten aufhielten. Erst kurz vor dem 11. September erkannte man offensichtlich bei der CIA die Gefährlichkeit von al-Midhar und bat die Ermittlungsbehörden, nach ihm zu fahnden.

Ich weiß das deshalb noch genau, weil ich der verzerrten Darstellung des Spiegel-Artikels wegen einen Leserbrief an Backtalk von Antiwar.com geschrieben habe, der lange dort erhalten war - heute ist mein Backtalk nicht mehr im Archiv. Die Lügen des Sylvain Cypel in Le Monde datieren vom 5. März 2002. Antiwar.com läßt nicht locker und unterhält bis heute eine Rubrik Israeli Art Student Files. So widersteht jeder den Tatsachen, so gut er kann. (7)

Sylvain Cypel behauptet gegenüber jedem, der es hören, und vor allem jedem, der es nicht hören will, daß Talal Abu Rahma den Tod des Mohammed al-Dura am vierten Tag der Intifada II gefilmt habe, also am 2. Oktober 2000, das Material stammt jedoch vom 30. September 2000. Entsprechend sind seine anderen Äußerungen dazu einzuschätzen - sie sind den Fälschungen ähnlich, die er mit dem Haaretz-Interview des Alain Finkielkraut anstellt. (8)

Die französische Regierung bedient sich solcher Linken wie Sylvain Cypel und Charles Enderlin, um ihre Arabienpolitik durchzusetzen. Das hat sie mit der italienischen und der spanischen gemein.

Französische Rechtsprechung im Sinne der Arabienpolitik Frankreichs

ResilienceTV informiert, am 5. Oktober 2006, über die politische Einstellung des Charles Enderlin und fragt, wer das sei, der in einem Interview mit der Fernsehzeitschrift Télérama Amira Hass "Mut" bescheinige, wissend, daß sie sich als Kommunistin bezeichnet und einseitig Partei ergreift für die Palästinenser und unter ihnen lebt, der Gidéon Lévy "Mut" bescheinige, der in einem Interview mit arte die Absetzung des Propagandafilmes gegen Israel "Jenin, Jenin", von Mohamed Bakri bedauert, dessen Infamie Pierre Rehov in seinem Film "La route de Djenine" dokumentiert, dem arte die Ausstrahlung verweigert. Man verstehe bei Sympathien für solche "Helden" besser, warum Charles Enderlin mit Mitteln der Lüge, der Verdrehungen und einseitiger Interpretationen das "Böse" nachweisen wolle, das Israel beherrsche. (9)

Während vielleicht jemand annimmt, daß France 2 endlich die Tatsachen offenlegt und die Behauptungen des Charles Enderlin und seines palästinensischen Kameramannes Talal Abu Rahma richtigstellt, sich bei den Betreibern der Metula News Agency (Mena) und der Media Ratings, also bei denjenigen entschuldigt, die bezichtigt werden, eine persönlich motivierte Haßkampagne gegen Charles Enderlin zu führen, schaltet der Staatssender die französische Justiz ein und klagt gegen Philippe Karsenty, der die Mena-Artikel auf der Site Media Ratings dokumentiert, merkwürdigerweise aber nicht gegen die Mitarbeiter der Mena, obgleich sie es sind, die den Fall vor dem Vergessen bewahren und immer wieder an ihn erinnern.

Am 19. Oktober 2006 wird Media Ratings von der auf das Presserecht spezialisierten 17. Kammer des Tribunal de Grande Instance de Paris in erster Instanz wegen Verleumdung des Charles Enderlin und des Senders France 2 zu 1000 Euro Strafe, zur Zahlung von 3000 Euro Gerichtskosten sowie zur Zahlung je eines symbolischen Euro an die beiden Kläger verurteilt. French Injustice, französische Ungerechtigkeit, überschreibt Honest Reporting seine Berichterstattung über den Fall und erwähnt nebenbei noch eine weitere Ungerechtigkeit, nämlich die Aufhebung des Urteils gegen Edgar Morin und seine Ko-Autoren wegen des Artikels Israël-Palestine: le cancer, Israel-Palästina: das Krebsgeschwür, durch den Obersten Gerichtshof Frankreichs. (10)

Warum sind Charles Enderlin und die Informationsdirektorin von France 2 Arlette Chabot nicht bei der Verhandlung, sondern allein ihre Anwältin Bénédicte Amblard? Warum fordern sie nur einen symbolischen Euro? Was soll diese scheinheilige Großzügigkeit? Hinzu kommt, daß beide Kläger weder ihre Zeugen, noch die vier Zeugen der Gegenseite vorführen und befragen, was vermuten läßt, daß die Kläger schon vorher wissen, daß sie gewinnen werden. Das Urteil habe schon vor der Verhandlung festgestanden, meinen Kenner der französischen Justiz. Richard Landes, von The 2nd Draft, macht auf die Tatsache aufmerksam, daß sein Video nicht Gegenstand der Verhandlung ist. (11)

"Es ist ein dunkler Tag für Frankreich. Die französische Justiz hat einen erlogenen Bericht für wahr erklärt", sagt Philippe Karsenty nach der Entscheidung. "Kann man noch Vertrauen in die französische Justiz haben?" fragt er. Er geht in Berufung. (12)

Anders ist, wie man sich denken kann, die Reaktion von Le Monde. Diese Zeitung findet es zunächst einmal nicht bemerkenswert, daß in Gestalt von Philippe Karsenty jemand vor Gericht steht, der auf seiner Site die Reportagen der Metula News Agency (Mena) dokumentiert, diese Agentur aber nicht behelligt wird. Le Monde hinterfragt nicht, warum das so ist. Der Sitz der Mena ist zwar in Metula/Israel, aber ihre Mitarbeiter sind jederzeit in Frankreich zu erreichen. Die Zeitung berichtet von der Anhörung, am 7. September 2006, auf der die Staatsanwaltschaft (sic!) Freispruch für Philippe Karsenty fordert, da er die Artikel in gutem Glauben veröffentlicht habe. Das Gericht aber erklärt, wenn es auch unzweifelhaft legitim für Philippe Karsenty sei, sich (sic!) zu fragen (s'interroger) bei einem Ereignis, das ein derartiges Medienecho hatte, und Kritiken zu dem auf die Schnelle ("à chaud") erstellten Kommentar zu verfassen, den Charles Enderlin zu den Bildern gegeben habe, so genüge die Wiedergabe unter seiner Verantwortung, ohne Distanz und kritische Analyse seiner eigenen Quellen, der These zu Propagandazwecken gestellter Szenen über den Tod des Mohammed al-Dura in den Armen seines Vaters nicht der Anforderung der Seriosität, die man von einem Fachmann der Information erwarten könne. (13)

Ohne die Mena oder ihre Mitarbeiter als juristische Personen in das Verfahren einzubringen, so daß diese sich gegen die Anschuldigungen des Gerichts wehren könnten, werden die Ergebnisse derer Untersuchungen behandelt, beurteilt und verworfen. Bereits in meinem Artikel, vom Februar 2005, sind eine solche Menge von Quellen genannt, in denen Experten sich der Untersuchung des angeblichen Mordes an Mohammed al-Dura durch israelisches Militär widmen, daß man die Gründe für die Äußerungen des Gerichtes anderswo suchen muß. Die Behauptung, daß weder offizielle israelische Stellen, weder Armee noch Justiz diesen Untersuchungen irgendeine Relevanz eingeräumt hätten, ist unwahr. Das wird in den von der Mena dokumentierten Artikeln deutlich. Richard Landes faßt das in seinem Artikel, vom 19. Oktober 2006, noch einmal zusammen. (14)

Philippe Karsenty wird zu einer Strafe von 1000 Euro und zur Zahlung an Charles Enderlin und France 2 der zwei Euro verurteilt. Von den 3000 Euro Gerichtskosten, zu deren Zahlung Philippe Karsenty verurteilt wird, berichtet Le Monde nichts. Das scheint der Zeitung, die von Arnaud Lagardère Finanzspritzen in Millionenhöhe erhält, doch gar zu popelig.

Richard Landes zitiert aus den vom Gericht genannten Gründen für die Verurteilung des Philippe Karsenty. Man soll es nicht für möglich halten, was da angeführt wird. Das Filmmaterial sei von Charles Enderlins Kameramann gedreht, der für France 2 bereits seit 20 Jahren arbeite, und dessen Professionalität niemals in Zweifel gezogen worden sei. Diese Aussage trifft das Gericht in Abwesenheit von Charles Enderlin. Es übernimmt die Einschätzung eines Prozeßbeteiligten ungeprüft und zeigt damit seine Parteinahme für die Kläger. Auf die Idee, daß Auslandskorrespondent und Kameramann seit 20 Jahren die Öffentlichkeit fehlinformiert haben könnten, kommt das Gericht erst gar nicht. Es legt sich aber bei Charles Enderlins politischer Einstellung nahe, zumindest die Frage zu stellen. Richard Landes meint, die Richter arbeiteten wie Journalisten, und zwar wie schlechte Journalisten. Er weist auf die Ungleichheit vor dem Gesetz hin: Philippe Karsenty hat sehr hohen Ansprüchen bei der Kritik an Charles Enderlin, und der hat gar keinen Ansprüchen bei seiner Kritik an Philippe Karsenty zu genügen, als geschätztes Mitglied eines staatlichen Senders sei er geschützt. Seine Verfehlungen würden ständig übergangen, und zum Schluß heiße es in den Medien: Das schockierende Foto der Intifada ist nicht gestellt, was das Gericht gar nicht geäußert habe.

Es handele sich um aristokratische Gerichtsbarkeit. (11)

Die Metula News Ageny und der Fall Mohammed al-Dura

Stéphane Juffa, der Chefredakteur der Mena, zitiert dazu einen weltweit berühmten US-amerikanischen Strafrechtler, der diesen Fall des Philippe Karsenty auf Anfrage so kommentiert habe: "Wenn ein Fall in einem Gericht gewonnen werden kann, ohne daß der mindeste Beweis und der mindeste Zeuge präsentiert werden muß, ist es ein Zeichen dafür, daß dieses Gericht sich in einer Gerichtsbarkeit befindet, in der die Gerechtigkeit nicht existiert!" Dieser Strafrechtler werde einen speziellen Bericht über das Urteil verfassen. Der eigentliche Prozeß über die zu Propagandazwecken gestellte Szene der angeblichen Erschießung des Mohammed al-Dura stehe noch aus. Medien und Justiz täuschten sich, wenn sie meinten, mit dem Prozeß gegen Philippe Karsenty sei der Fall erledigt. Jedoch stünden letztlich weder Charles Enderlin noch Philippe Karsenty, nicht France 2 noch die Mena in Frage, sondern das Funktionieren der demokratischen Institutionen Frankreichs. Keines der französischen Medien berichtet von der Ungeheuerlichkeit, daß Staatspräsident Jacques Chirac und der Bürgermeister von Paris Bertrand Delanoë jeder einen eigens für den Prozeß geschriebenen Brief an das Gericht geschickt und darin Elogen über die Qualitäten des Charles Enderlin von sich gegeben hätten. Damit hätten sie die geheiligte Schranke zwischen den Gewalten aufgehoben. Die Exekutive, vertreten durch ihren höchsten Repräsentanten, mischt sich in die Angelegenheiten der Justiz ein. Die Wahrung dieser Schranke mache eine demokratische Herrschaft aus.

Mit welcher Leichtigkeit der Staatspräsident diese barrière sacrée überschreitet, ist aus dem Fall des Didier Julia, aus der Affäre Clearstream und aus vielen anderen Fällen bekannt. In Frankreich ist diese Schranke, begünstigt durch den Artikel 64 der Verfassung, nicht sehr widerstandsfähig. Der Präsident macht, was er für richtig hält. Den Untersuchungsausschuß im Fall Didier Julia läßt er verhindern, in dem ein juristisches Verfahren gegen dessen Mitarbeiter eingeleitet wird. Der Einsetzung eines Untersuchungsausschusses muß in einem solchen Fall zur Vermeidung von Störungen des juristischen Verfahrens der Justizminister zustimmen. Darauf wartet man vergeblich. Während Didier Julia längst zu Empfängen im kleineren Kreise beim Staatspräsidenten geladen wird, harren seine Mitarbeiter noch heute auf den Prozeß. Le dossier est vide, es ist nichts dran am Fall, sagen die von der Exekutive mit der Untersuchung beauftragten Richter. Diese Willkür treibt ihnen aber nicht die Sorgenfalten auf die Stirn oder gar die Schamesröte ins Gesicht, sondern sie reicht zu einem Grinsen um die Mundwinkel. Das Verfahren wird ad calendas graecas geschoben, auf den Sankt Nimmerleinstag. (15)

Was Referenzschreiben über den Charakter einer Person angeht, so werden sie wie bei uns vom Arbeitgeber oder von einem Gleichgestellten geschrieben, von jemandem, der die Person näher kennt und mit ihr öfter zusammen ist: Was wissen Chirac und Delanoë über Charles Enderlin? Wo treffen sie ihn regelmäßig? Wir waren dummerweise überzeugt, daß unser Kollege ständiger Korrespondent in Jerusalem war, und nicht im Élysée-Palast noch im Rathaus von Paris. Ausgenommen, diese großen Zeugen verwechseln einen Referenzbrief mit einem Unterstützerbrief für einen unterwürfigen Journalisten, der bis an die Ohren in der Patsche sitzt.

Die Ausmaße dieser Einmischung werden deutlich, wenn man weiß, daß es der Staatspräsident ist, der die obersten Juristen des Landes bestimmt. Welcher Staatsanwalt, welcher Richter wird sich eines Philippe Karsenty wegen die Karriere verbauen? Es bedürfte der Richter mit eiserner Moral, die das Recht über alle anderen Erwägungen stellten. Die Richter in diesem Prozeß seien nicht von der Art. Das Urteil habe bereits vorab festgestanden. Deshalb vergeudeten weder Charles Enderlin noch Vertreter von France 2 ihre Zeit, vor Gericht zu erscheinen. In einem fairen, unabhängigen Prozeß wäre es für die Kläger ein Risiko gewesen, keine Zeugen zu benennen, keine Beweise vorzulegen und keinen der vier vom Beklagten benannten Zeugen zu befragen. Der Brief des Jacques Chirac erkläre die Entscheidung gegen den sehr plausiblen Antrag der Staatsanwaltschaft auf Freispruch.

So erkläre sich auch die Diffamierung der Mena durch die Richter. Sie kennten nichts von deren Untersuchungen im Fall Mohammed al-Dura, dennoch belegten sie die jahrelange Arbeit der Mena und von mehreren Experten mit einem Negativurteil. (16)

Stéphane Juffa schreibt am 30. Oktober einen zweiten, allgemeineren Artikel zur Sache. Unter Ausschluß einer öffentlichen Debatte solle der  größte Betrug in der Geschichte des Fernsehens ohne Würdigung eines einzigen Beweises, ohne Vernehmung eines einzigen Zeugen besiegelt werden. France 2 solle ohne Berücksichtigung der Fakten von jedem Verdacht des Betruges freigesprochen werden. Er weist auch hin auf die Folgen dieser Rechtsprechung für kleine Agenturen und Blogs. Die Strafe und die Gerichtskosten in Höhe von mehr als 4000 Euro für Philippe Karsenty reichten bereits jetzt, um freie Denker ins Glied zurücktreten zu lassen. Jüdische Medien in Frankreich, RCJ, Radio J, die sich einst darum gerissen hätten, Mena-Artikel zu veröffenlichen, scheuten die Mena nun wie die Krätze, genau wie auch die Mainstream Medien. Er nennt noch zwei weitere Prozesse, die in ähnlich rechtsfernem Raum verlaufen sind. (17)

Der Fall Mohammed al-Dura in deutschen Printmedien und auf deutschen Blogs

Stéphane Juffa macht aber auch aufmerksam darauf, daß es im Zuge der Globalisierung für Jacques Chirac und seine willigen Medien nicht so einfach getan ist, sondern daß internationale Medien und Blogger die Themen aufnehmen. Er verweist dabei ausdrücklich auf little green footballs, Les petits ballons de football verts, die am 19. Oktober, am Tag des mündlichen Urteils, posten: France Surrenders to Palestinian Fraud. (18)

Es gibt auch deutsche Beiträge in Printmedien und auf Blogs zum erstinstanzlichen Urteil im Prozeß gegen Philippe Karsenty, wobei unter den Printmedien nur die Frankfurter Allgemeine Zeitung und der Kölner Stadtanzeiger das Urteil kommentieren. In chronologischer Reihenfolge: (19)

·     Die französische Justiz versagt
·     Bruchstücke des französischen Versagens
·     Pallywood in Frankreich
·     Schutz für den Vierten Stand
·     Drei Kugeln und ein totes Kind
·     Drei Kugeln ohne Ende
·     Kritischer Journalist im Fall "Mohammed al-Dura" verurteilt

Richard Landes meint resignierend: Dies ist ein tragischer Tag für die republikanischen Werte Frankreichs und die Unverwüstlichkeit der europäischen Kultur. Von Philippes Arbeit einmal abgesehen, kann niemand als diejenigen, die schon vor langer Zeit Frankreich abgeschrieben haben als ein Drittweltland mit Erstweltambitionen, die Glaubenskrieger mit Ansprüchen auf Europa und ihre drittweltlerischen Verbündeten, erfreut sein über solches Versagen juristischer Argumentation. (14)

Um dieser Einschätzung noch eins draufzusetzen, sage ich voraus, daß es der Berufungsverhandlung ähnlich ergehen wird wie dem Verfahren gegen die Mitarbeiter des Didier Julia. Soeben hat Laurent Le Mesle, der ehemalige Berater des Staatspräsidenten Jacques Chirac in juristischen Angelegenheiten und Kabinettschef des Justizministers Pascal Clément, sein Amt als Generalstaatsanwalt von Paris aufgenommen. Das wird von einflußreichen Kreisen der Opposition als Manipulation der Justiz eingeschätzt, da Jacques Chirac nach Ende seiner Amtszeit einigen juristischen Verfahren entgegensieht, die seiner jetzigen Immunität wegen ruhen. Den Gebrauch der Justiz zum politischen und privaten Nutzen wirft der Parti Socialiste ihm vor. Wo der Berufungsfall der Media Ratings dabei bleibt, die Wahrheitsfindung im Fall der Ikone der Intifada II Mohammed al-Dura? Direkt neben der Akte des Irakabenteuers des Teams von Didier Julia, im Grand gouffre de la République française ! (20)

Ich habe deshalb schon eine passende Hymne für Philippe Karsenty, Stéphane Juffa, Luc Rosenzweig und Richard Landes bereit: Bertolt Brechts und Paul Dessaus Lied vom Sankt Nimmerleinstag.

2. November 2006

Quellen

(1) Conseil Supérieure de la Magistrature (CSM)
http://www.conseil-superieur-magistrature.fr/

(2) Florence Aubenas befreit - Hussein Hanoun al-Saadi in Paris! 15. Juni 2005
(Darin einige Links aus meinen Archiven zur Rolle der Justiz im Fall der drei französischen als Geiseln gehaltenen Journalisten)
http://www.eussner.net/artikel_2005-06-15_20-59-25.html

(3) Der Fernsehkanal France 2 als aktiver Kämpfer der Al-Aqsa Intifada.
10. Februar 2005 [im Orkus]
http://www.eussner.net/artikel_2005-02-10_01-52-36.html

(4) The Birth of an Icon. Al-Durah. What Happened? The 2nd Draft
http://www.seconddraft.org/aldurah.php

Al-Durah Movie. The Birth of an Icon. The 2nd Draft Movies
http://www.seconddraft.org/movies.php

(5) Israel versus America. The secret war is now out in the open.
By Justin Raimondo, Antiwar.com, March 15, 2002
http://www.antiwar.com/justin/j031502.html

An Enigma: Vast Israeli Spy Network Dismantled in the US. By Sylvain Cypel,
Le Monde, March 5, 2002. Translated by Malcolm Garris, Antiwar.com
http://www.antiwar.com/rep/lemonde1.html

(6) Tür an Tür mit Mohammed Atta. Von Oliver Schröm, DIE ZEIT Nr. 41/2002,
14. Oktober 2002
http://www.zeit.de/archiv/2002/41/200241_mossad.xml?page=all

Next Door to Mohammed Atta. By Oliver Schröm, DIE ZEIT, October 14, 2002
http://iraq-info.1accesshost.com/schrom.html

(7) CIA-Pannen : Mossad-Agenten waren Atta auf der Spur, SpiegelOnline,
1. Oktober 2002
http://service.spiegel.de/digas/servlet/find/ON=spiegel-216421

Israeli Art Student Files. Antiwar.com
http://www.antiwar.com/israeli-files.php

(8) Mais d'où vient donc le scandale ? 20 minutes
http://perso.orange.fr/mivy/linfo/al-dura/DouvientLeScandale.htm

Alain Finkielkraut, das Interviewerpärchen und die Geier (Teil 3). Das Elend der französischen Medien. 9. Dezember 2005
http://www.eussner.net/artikel_2005-12-09_05-12-28.html

(9) L'idéologie de Charles Enderlin. ResilienceTV, 5 octobre 2006
http://www.resiliencetv.fr/modules/smartsection/item.php?itemid=153

(10) French Injustice. The French Al-Dura court case ends in defeat for Philippe Karsenty. Media Critics, Honest Reporting, October 25,2006
http://www.honestreporting.com/articles/45884734/critiques/French_Injustice.asp

Der Antisemitismus in Frankreich: ein Krebsgeschwür. 1. Juli 2005
http://www.eussner.net/artikel_2005-07-01_13-45-34.html

(11) La France ... Vit-elle ? Reflections on the Latest Judgment. By Richard Landes, Augean Stables, October 24, 2006
http://www.theaugeanstables.com/2006/10/24/la-france-vit-elle-reflections-on-the-latest-judgment/

(12) French TV station wins al-Dura case. By Stéphane Elkaim, Jerusalem Post, October 20, 2006
http://www.jpost.com/servlet/Satellite?c=JPArticle&cid=1159193481133&pagename=JPost%2FJPArticle%2FShowFull

26-10-06 Condamnation de Media-Ratings : peut-on encore faire confiance à la justice française ?
http://www.m-r.fr/actualite.php?id=1381

(13) Charles Enderlin et France 2 gagnent leur procès. Par Pascale Robert-Diard, Le Monde, 21 octobre 2006
http://www.lemonde.fr/web/article/0,1-0@2-3236,36-825787@51-823288,0.html

(14) Kafka in Wonderland. L'Express weighs in. By Richard Landes, Augean Stable, October 19, 2006
http://www.theaugeanstables.com/2006/10/19/kafka-in-wonderland-lexpress-weighs-in/

(15) La Constitution du 4 octobre 1958. Tite VIII de l'Autorité judiciaire. Art. 64
http://www.affaires-publiques.org/textof/C04-10-58/64.htm

Die französische Regierung kooperiert mit dem irakischen Widerstand. Darin: "Wer will das Fell von Didier Julia?"  5. Januar 2005
http://www.eussner.net/artikel_2005-01-05_17-50-30.html

(16) Il faut sauver le soldat Enderlin ! (1ère partie) (info # 012710/6).
Par Stéphane Juffa, Metula News Agency, 27 octobre 2006 (Accès libre)
http://www.menapress.com/article.php?sid=1568

(17) Il faut sauver le soldat Enderlin ! (2ème partie et fin) (info # 013010/6).
Par Stéphane Juffa, Metula News Agency, 30 octobre 2006 (Accès abonnés)
http://www.menapress.com/article.php?sid=1571

Metula News Agency
http://www.menapress.com/

(18) France Surrenders to Palestinian Fraud. little green footballs, October 19, 2006
http://littlegreenfootballs.com/weblog/?entry=23016_France_Surrenders_to_Palestinian_Fraud&only

French TV station wins Palestinian boy libel case. By James Mackenzie, YahooNews,
October 19, 2006
http://news.yahoo.com/s/nm/20061019/wl_nm/france_mideast_libel_dc

(19) Die französische Justiz versagt und Bruchstücke des französischen Versagens, honestreporting.com Media Backspin, Falsches zu Nahost richtiggestellt,
19. Oktober 2006
http://myblog.de/hrbs/cat/194604/0

Pallywood in Frankreich. Lizas Welt, 24. Oktober 2006
http://lizaswelt.blogspot.com/2006/10/pallywood-in-frankreich.html

Schutz für den Vierten Stand, honestreporting.com Media Backspin,  Falsches zu Nahost richtiggestellt, 24. Oktober 2006
http://myblog.de/hrbs/cat/194604/0

Drei Kugeln und ein totes Kind. Von Tobias Kaufmann. Kölner Stadtanzeiger und Tagebuch der Achse des Guten, 25. Oktober 2006
http://www.achgut.de/dadgd/view_article.php?aid=3613

Drei Kugeln ohne Ende. Waren die französischen Fernsehbilder vom Tod eines Palästinenserjungen inszeniert? Von Jürg Altwegg, F.A.Z., 25.10.2006, Nr. 248 / Seite 46
http://www.m-r.fr/dossier.php?id=56

Kritischer Journalist im Fall "Mohammed al-Dura" verurteilt. Von JNS. Jewish News Service und Israelnetz, 27. Oktober 2006
http://www.bloglines.com/blog/JNS?id=542
http://www.israelnetz.de/show.sxp/12570.html?sxpident=894-118978JeK-zz8755027-a

(20) Laurent Le Mesle prend ses fonctions de procureur général de Paris,
Le Monde, 9 octobre 2006
http://www.lemonde.fr/web/article/0,1-0@2-3224,36-821613,0.html