Lisa Fittko: Mein Weg über die Pyrenäen. Erinnerungen 1940/41

Fundsachen vom 25. März 2005 [Links aktualisiert]

Wenn man mich heute fragt, wie Frankreich damals die jüdischen und politischen Emigranten behandelt hat, wie die Franzosen sich uns gegenüber benommen haben, weiß ich keine Antwort. Frankreich - welches Frankreich? Die Franzosen - wer ist das?

Ich weiß, daß wir in den Augen der französischen Behörden lästige Fremde waren, die man sich vom Leibe halten mußte; daß sie uns für schädlich hielten, weil wir Frankreichs Beziehungen mit Nazi-Deutschland gefährden konnten. Tausende von Emigranten waren gezwungen, sich illegal durchzuschlagen. Für uns gab es keine Arbeitserlaubnis, wir hatten keine Rechte, nicht einmal heiraten durften wir.

Als der Krieg ausbrach, erklärte uns die französische Regierung zu feindlichen Ausländern und sperrte uns in Konzentrationslager - zusammen mit den wirklichen Feinden, den Nazis. Viele Emigranten meldeten sich als Freiwillige zur französischen Armee, um gegen den deutschen Faschismus zu kämpfen, doch sie wurden zurückgewiesen und statt dessen in die Fremdenlegion gepreßt, um eine Trans-Sahara-Eisenbahn zu bauen.

Die Franzosen - Pétain, Weygand, Laval - unterzeichneten den Artikel des Waffenstillstands, der uns Emigranten den Deutschen auslieferte, und die neue Regierung bemühte sich eifrig, die Nazis noch zu übertreffen.

Doch hätte keiner von uns überleben können ohne die Hilfe von Franzosen in jedem Winkel des Landes - Franzosen, deren Menschlichkeit ihnen den Mut gab, diese vertriebenen Fremden aufzunehmen, zu verstecken, zu ernähren. Menschen wie der Kommandant des Bahnhofs von Lourdes, die in der finstersten Stunde ihrer eigenen Niederlage die Last des Schandartikels auf sich nahmen, der ihr Land des stolzen Namens la France généreuse beraubt hatte.

Quellen

Lisa Fittko, Who Helped Rescue Many Who Fled the Nazis, Dies at 95. By Douglas Martin.
The New York Times, March 21, 2005
http://www.nytimes.com/2005/03/21/obituaries/21fittko.html?

Lisa Fittko (1909 - 2005). Von Christoph Neidhart. Weltwoche.ch, 11/05
https://www.weltwoche.ch/ausgaben/2005-11/aktuell/lisa-fittko--die-weltwoche-ausgabe-112005.html

Lisa Fittko: Mein Weg über die Pyrenäen. Erinnerungen 1940/41, 1. Auflage Hanser Verlag München, Wien 1985, S. 99f. dtv Reihe Hanser, Oktober 2004
https://www.dtv.de/buch/lisa-fittko-mein-weg-ueber-die-pyrenaeen-62189/

Ein Film über Lisa Fittko, von Constanze Zahn, Deutschland 1998, 42 min:
Lisa Fittko: "Doch wir, sagten wir, wir ergeben uns nicht..."
https://www.artechock.de/film/text/filminfo/l/li/lifido.htm

Film en français: Lisa Fittko, portrait d´une résistante.
"Mais nous, disions-nous,  nous ne nous rendrons pas ..."
Auteur-realisateur: Constanze Zahn. États généraux du film documentaire
http://www.lussasdoc.org/rea-constanze_zahn-1,21856.html

Varian Fry. The forgotten hero who displayed extraordinary courage. . .
http://www.almondseed.com/vfry/

Lisa Fittko geb. Ekstein, geboren 1909 in Uzhorod, Ukraine. Sie ist jüdischer Herkunft. Ihr antifaschistisches Engagement zwingt sie, Berlin 1933 zu verlassen. Sie engagiert sich weiterhin an jedem Ort ihres Exils, in Prag, Zürich, Amsterdam und Paris gegen Nazideutschland. Sie entkommt nach Marseille und stößt dort auf Varian Fry und das Emergency Rescue Committee, das - meist illegal - organisierte Fluchthilfe betreibt. 1940/1941 ist sie in der Fluchthilfe in Südfrankreich aktiv. Sie ist u. a. die Fluchthelferin von Walter Benjamin.

Lisa Fittko ist am Samstag, den 12. März 2005, in Chicago gestorben.

25. März 2005