Die Frau in Gold. Buch: Alexi Kaye Campbell. Regie: Simon Curtis
Filme im Ersten. Erstausstrahlung: 12.07.2017. ONE, 20:15 - 21:50 Uhr
Artikel vom 13. November 2006 [Links aktualisiert und ergänzt]
Über den Tänzer und Balettmeister Alfred Leschnitzer findet sich im Internet nichts [ein Hinweis im Zusammenhang mit dem Kabarettisten Alfred Ferdinand Nathan], und da surfe
ich ein wenig herum, um irgend etwas herauszubekommen, was mich weiterbringen
könnte in den Recherchen. Leschnitzer im Web ergibt 11 900 Angebote, da such'
mal einer! Gibt es Verwandte, oder sind die anderen nur Namensvettern? Was ist
mit dem 1899 in Posen/Poznan geborenen Adolf Leschnitzer? Ab 1952 lehrt er die Geschichte des deutschen Judentums an der FU Berlin. Ist er ein Namensvetter, ein
naher Verwandter, gar ein Bruder? Was ist mit dem Kommunisten und
Moskau-Emigranten Franz Leschnitzer, der nach dem Krieg gemeinsam mit Li
Weinert das Buch Erich Weinert: Ein Lesebuch unserer Zeit herausgibt?
Von den Angeboten beziehen sich viele auf die oberschlesische Stadt Leschnitz
und ihre Bürger, die Leschnitzer, die fallen also aus. Andererseits ist
Neiße, der Geburtsort von Alfred Leschnitzer, nicht weit entfernt. Auch
Gleiwitz, von wo am 1. September 1939, ab 5:45 Uhr, "zurückgeschossen"wird, liegt dicht bei.
Was ein Rückstellungsantrag
ist, definiert außer der im Internet versammelten Gegnerschaft des Wehrdienstes
treffend die Schweizerische Gesellschaft für Kleintierzucht auf ihrem
Blog: Rückstellungsanträge, egal ob in der Politik oder
sonstwo, werden immer von Gegnern einer Sache gestellt.
Die in der Datei aufgeführten Hunderte von Juden wollen ihren Besitz rückgestellt,
zu deutsch zurückgegeben bekommen, sie sind Gegner ihrer Enteignung.
Österreich trennt sich von Munch-Gemälde. DIE WELT, 9. November 2006
Ausführlicheres über verweigerte Rückstellung erfährt man im Zusammenhang mit dem Rückstellungsantrag der Alma Mahler-Werfel, die ihr Lieblingsgemälde Sommernacht am Strand, von Edvard Munch, vom österreichischen Staat zurückhaben will: Bereits im Jahre 1947 stellte Alma Mahler-Werfel einen Rückstellungsantrag gegen die Republik Österreich. Die Klage wurde aber 1953 durch das Oberlandesgericht Wien abgewiesen. Spannend, wie's weitergeht. Die Erben kämpfen weiter. Seit dem 17. Februar 2006 gibt es ein neues Restitutionsverfahren.
Irgendwo in der
umfangreichen Datei der Rückstellungsanträge gibt es neben einem Kaufmann/Konfektion
u. Manufaktur einen damit nicht zusammenhängenden Eintrag Verheiratet: Mädchenname: Leschnitzer. Alle Eintragungen handeln von
enteigneten, betrogenen, verfolgten, deportierten und ermordeten Juden aus den
niederösterreichischen Orten, Krems, Neunkirchen, St. Pölten und Korneuburg.
Eine informative Lagekarte der Städte findet man bei den Rechtsanwälten Niederösterreichs.
Vielleicht vertritt der eine oder andere von ihnen ja Antragsteller?
Hunderte von Juden sind
auf immer gleichen Formularen erfaßt: Name, Mädchenname, Adresse in einem der
Orte, im Jahre 1938, Geburtsdatum, Beruf, Familienstand, letzte Wohnadresse. Deportiert
- Gestorben - Exilland - Schicksal. Dazu gibt es merkwürdige Einträge,
jemand ist 1899 in der UdSSR geboren, ein anderer Ende der 30er Jahre nach
Israel ausgewandert, selten sind Vermerke zu Deportationen, Todestagen, zum
Exilland und zum Schicksal, was immer damit gemeint ist. Die Frau mit
dem Mädchennamen Leschnitzer finde ich; Bianca A., aus St. Pölten, ist am 25.
November 1905 geboren, nach Palästina (!) emigriert und im April 1970
gestorben. Ist sie eine Schwester oder Cousine von Alfred Leschnitzer?
Ohne Wiege, ohne Bahre:
Formulare, Formulare
Außer den genannten
Begriffen gibt es weitere vorgegebene. Nach dem Anschluß Österreichs ans
Deutsche Reich werden die Juden umgehend ausgeplündert und ihr Besitz erfaßt.
Auf einigen Formularen finden sich unter Wert Gegenstände Beträge von
unter 100 RM: Josefine B., geboren am 18. Juni 1884, deportiert nach Kielce, am
19. Februar 1941: Wert Gegenstände 100 RM.
·
Geschäftsguthaben
·
Spareinlagen
insgesamt
·
Wert
Land und Forstwirtschaft
·
Wert
Grundbesitz
·
Wert
Gegenstände
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Rentensumme
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Gesamtwert
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Schulden
gesamt
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Realsum
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Beilagen
zum Vermögensverzeichnis
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Arisierungsakten
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Quelle
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Vermögensverzeichnis
Antrag
·
Anmerkung
Sie bleiben in sehr
vielen Fällen unausgefüllt, so bei Bianca A. Mädchenname Leschnitzer; dann ist
vermerkt: kein Vermögensanmeldungsakt vorhanden. Unter Anmerkung steht
in einem anderen Fall: sämtliche Wertgegenstände wurden im April und Mai 38
beschlagnahmt. Der Anschluß/die Annexion Österreichs findet am 12. März
1938 statt. Rasche, effiziente Arbeit!
Unter Quelle
steht beispielsweise: NÖLA, VerzüJV, Karton 1325, oder Karton
1317, oder Karton 1320. NÖLA ist das Niederösterreichische Landesarchiv.
Es heißt im Internet ohne jede Erklärung meist NÖLA oder NöLa,
und da findet man auch Informationen über niederösterreichische enteignete Synagogen, Bethäuser und Beträume. Die liegen in NÖLA Kartons Nr. 80,
602 oder sonstwo. Die Behörden kommen nach dem 12. März 1938 gar nicht nach mit
dem Erfassen der "freiwilligen" Geschenke der Juden, mit dem Rauben
und Katalogisieren derer Besitztümer. Was VerzüJV heißt, steht nirgends
- wahrscheinlich Verzeichnis über jüdische Vermögen.
Wer nun meint, es sei
genug mit den merkwürdigen Begriffen, der hat noch nicht die Einträge unter der
Rubrik Beilagen zum Vermögensverzeichnis gelesen. Da kann man den
Reichtum der deutschen Sprache kennenlernen:
·
Arisierung
·
Entjudungsauflage
·
Judenabgabe
·
Judenvermögensabgabe
·
Reichsfluchtsteuerbescheid
·
Veränderungsmeldung
·
Veräußerungsaufforderung
(im Völkischen Beobachter)
·
Vermögensbekenntnis
·
Zwangsentjudung
Über Arisierung
wissen sicher alle Bescheid, aber was ist eine Entjudungsauflage? Dank
Internet bleibt man nicht lange ohne Antwort. Hier gibt die Wiener Stadt-
und Landesbibliothek ein Beispiel für eine Entjudungsauflage; sie
schädigt und ärgert den Arisierer:
Wie auch sonst bei solchen "Arisierungen" mußte der
"Käufer" nicht bangen, der "Verkäuferin", in diesem Fall
Lucy Tal, etwas zahlen zu müssen. Wohl aber mußte die "Allgemeinheit"
etwas davon haben, und zwar in Form einer "Entjudungsauflage", die
einen gewissen Prozentsatz des von der Abteilung Auflagenberechnung der VVSt
errechneten sog. Mehrwertes einer Firma darstellte. Obwohl der
"Kaufpreis" sich inzwischen auf RM 4.500 reduziert hatte, gab es
schließlich nach dem Bericht eines Buchsachverständigen keinen
"zugelassenen Kaufpreis" mehr. Durch die "Arisierung" war
die Firma E.P. Tal finanziell derart heruntergekommen, daß sie erstens nichts
mehr wert, zweitens überschuldet war. Also: auf der einen Seite ein mit großem
Aufwand aufrechterhaltener Schein der Rechtmäßigkeit, auf der anderen Erwerb
zum Nulltarif. Aber nicht ganz: Ibach mußte zu seinem Ärger als
"Entjudungsauflage" einen Betrag von RM 4.482 an die Staatskasse
abliefern ...
Die Judenvermögensabgabe
geht auf eine Initiative Hermann Görings zurück. Unter dem Vorwand der "Sühneleistung" für
"die feindliche Haltung des Judentums gegenüber dem deutschen Volk",
nach dem Attentat auf den deutschen Legationssekretär Eduard vom Rath und nach
den Novemberpogromen 1938 werden die deutschen Juden vom Staat ausgeplündert.
Von allen Juden mit einem Vermögen von mehr als 5000 RM wird eine Kontributionszahlung
von 1 Milliarde Reichsmark verlangt. 20 Prozent des Vermögens müssen in vier
Raten bis zum 15. August 1939 an das Finanzamt abgeführt werden, bis zum 15.
November 1939 muß eine fünfte Rate aufgebracht werden.
Chic Parisien, die Familie Bachwitz und Albert Einstein. Löwengasse 47 (1938)
Bei dem weniger
geläufigen Begriff Judenabgabe fragt mich Google erst einmal, ob
ich nicht Bodenabgabe meine. Bei Entjudungsauflage und bei Judenvermögensabgabe
gibt es solche Frage nicht, da weiß Google gleich Bescheid. Auch für den
Begriff Judenabgabe kann die Wiener Stadt- und Landesbibliothek
ein Beispiel geben [nicht mehr online]: (8)
Die im Mai (1938) unter der Leitung des "Staatskommissars"
Walther Raffelsberger eingerichtete Vermögensverkehrsstelle überwachte die
"Arisierungen" und führte sie durch. Die Höhe des Kaufpreises setzte
die Behörde fest. Selbst diese Summe, die in keinem Verhältnis zum
tatsächlichen Wert stand, wurde nicht voll ausgezahlt, sondern für angebliche
Steuerrückstände, Reichsfluchtsteuer, "Judenabgabe" u.ä. zurück
behalten.
Christina Kanzler schreibt in ihrem Artikel über Flucht und Vertreibung
1934 - 1945 zum Thema Judenabgabe [nicht mehr online]. Sie erwähnt dabei auch das
Palästina-Amt, dem die Durchführung der Palästina-Emigration oblag, sowie die
Gildemeester-Hilfsaktion, die nicht der jüdischen Religionsgemeinschaft
angehörende Personen betreute:
Am 20. August 1938 wurde die Zentralstelle für jüdische Auswanderung inWien gegründet. Diese vereinte Außenstellen aller mit der
"Auswanderung" befassten Behörden sowie die zuständigen Abteilungen
der Kultusgemeinde unter einem Dach. Zugleich war die "Zentralstelle"
Vollzugsinstanz eines ausgeklügelten Systems der Enteignung. Eichmanns
Vorstellungen gemäß sollten die wohlhabenden Juden gemeinsam mit ausländischen
Hilfsorganisationen die Kosten der "Auswanderung" von weniger
wohlhabenden Juden tragen. Durch die den Emigrationswilligen abgepressten
Steuern und Gebühren ("Reichsfluchtsteuer", Passumlage,
"Judenabgabe") wurden Reisespesen, Landungs- und Vorzeigegelder,
Devisen und auch die Betriebskosten der "Zentralstelle" selbst
finanziert. Die Vertriebenen hatten zu Gunsten des Deutschen Reiches auf ihren
gesamten Besitz zu verzichten und verließen das Land in den allermeisten Fällen
völlig mittellos.
Die Judenabgabe wird vom Kaufpreis für die jüdischen Besitztümer,
von dem Schleuderpreis, den der jüdische Verkäufer erhält, vom Staat abgezogen,
um somit die eventuell bestehende finanziellen Verpflichtungen des Juden
abzudecken.
Die Reichsfluchtsteuer ist eine Erfindung der Weimarer Republik, aus
dem Jahre 1931, zur Verhinderung von Kapitalflucht. Sie ist eine Art
Tobin-Steuer vor der Zeit. 25 Prozent des Vermögens müssen an den Staat
abgegeben werden, wenn der deutsche Bürger seinen Wohnsitz ins Ausland verlegt.
Diese Steuer wird erst 1953 abgeschafft.
Klimt in Sewastopol. Von Marianne Enigl, profil, 14. Juni 2004
Eine Veränderungsmeldung aus den Formularen betrifft die Übergabe
eines Gartens an die NSDAP durch den Fabrikanten David Rachmuth. Sein Vermögen
wird dadurch geringer, was am 5. Dezember 1938 eine Veränderungsmeldung
zur Folge hat. Die Microsoft-Datei
ist bei den meisten Fällen nicht sehr informativ, bei David Rachmuth aber
kommen Veränderungsmeldung, Judenvermögensabgabe, Judenabgabe und
Vermögensbekenntnis vor.
Eine Veräußerungsaufforderung
ergeht beispielsweise an das Neunkirchner Ehepaar Max und Regine H., das nicht
schnell genug der Arisierung ihres Besitzes zustimmt. Die NSDAP schaltet eine
Anzeige im Völkischen Beobachter, vom 12. Juli 1941, und schickt die
Rechnung an das Ehepaar. Unter der Rubrik deportiert steht für Regine H.
im Formular: 19.2.1941 Kielce, für Max H. ist vermerkt: 1.10.1942
(20.2.1941) Theresienstadt. Vielleicht hat jemand die Rechnung nach
Theresienstadt weitergeleitet und der Zeitung der NSDAP so zu ihrem Geld
verholfen.
Was die "Zwangsentjudung" angeht, so stimmt der
Reichswirtschaftsminister der geplanten Arisierung des Grundbesitzes des Ernst S. [Sofer], geboren 3. Februar 1897, und seiner Gattin Elise (nichtjüd. röm.
kathol.) nicht so reibungslos zu (4.12.40), wie vom kommissarischen
Bürgermeister Korneuburgs erwünscht. Er beschwert sich beim Reichsstatthalter:
Ernst S. verzögert Verkauf/ hat andere Judenfamilien im Haus aufgenommen/
"wollen aus einer gewissen Hartnäckigkeit heraus Korneuburg nicht
verlassen".
Zwar weiß ich nun
nichts Neues über den Tänzer und Balettmeister Alfred Leschnitzer, aber meinen
deutschen Wortschatz habe ich erweitert. Zum Spaßen und Tanzen ist mir
allerdings nicht zumute.
13. November 2006 [aktualisiert und archiviert am 12. April 2020]